Studien, Reflexionen, Kontexte

Theosophie

Das Wort „Theosophie“ ist keine Erfindung von Helena Petrowna Blavatsky, die zusammen mit einigen anderen 1875 in New York (USA) die Theosophische Gesellschaft (TG) gegründet hat. Diese Gesellschaft hat nach einer Zwischenstation in England seit 1905 ihren Hauptsitz im Bundesstaat Chennai (Madras), Indien.

Nach dem Tod von Blavatsky wurde die Ausbildung von Landesgesellschaften vorangetrieben. 1902 wurde im Zuge diese Neuorganisation die selbständige Sektion Deutschlands in Berlin begründet.

TG Adyar

Hauptsitz der TG in Adyar, Indien

Bevor 1902 die Deutsche Sektion der Theosophischen Gesellschaft Adyar gegründet wurde, gab es eine Vorläufer-Organisation, die massgeblich von Wilhelm Hübbe-Schleiden geprägt wurde. „1883 lernte er über seine Bekanntschaft mit der Fabrikantenfamilie Gebhard in Elberfeld die Lehren der von Helena Petrovna Blavatsky vertretenen Theosophie kennen, mit der er sich von nun an bis an sein Lebensende beschäftigte.

Seit Januar 1886 fungierte Hübbe-Schleiden als Herausgeber der von ihm selbst seit Herbst 1884 geplanten und gegründeten Monatszeitschrift Sphinx, deren Erscheinen er durch seinen Austritt hatte retten können. Sie widmete sich hauptsächlich metaphysischen Themen, wies jedoch auch Bezüge zur Theosophie auf. So konnte Hübbe-Schleiden das Interesse an der in ihrem Ruf beschädigten Theosophie in Deutschland wachhalten. Vor allem aus der Leserschaft dieser Zeitschrift vermochte er 1892 in Berlin die Theosophische Vereinigung zu gründen. Dieser folgte am 3. November 1893 der Esoterische Kreis. Diese beiden Organisationen wurden am 29. Juni 1894 unter Anwesenheit von Henry Steel Olcott zur Deutschen Theosophischen Gesellschaft (D.T.G.) vereinigt.“ (Wikipedia, 15.01.2022, 14:39)

Die Zeitschrift „Sphinx“ bildete somit eine wichtige Grundlage für die Gründung und Arbeit deutschsprachiger theosophischer Organisationen vor 1902. Die Zeitschrift führte einen erläuternden Untertitel auf ihrem Deckblatt: „Monatsschrift für die geschichtliche und experimentale Begründung der übersinnlichen Weltanschauung auf monistischer Grundlage„. Diese Charakterisierung ihrer Anliegen könnte in meiner Auffassung ohne Abstriche für die Arbeit Rudolf Steiners in Bezug auf die Begründung und Ausgestaltung der Theosophie und später Anthroposophie gelten. In Bezug auf seine Anthroposophie wäre jedoch noch hinzuzufügen, dass es auch um die Anwendung der Erkenntnisse und Einsichten aus der übersinnlichen Weltanschauung geht.

Kommen wir zurück zum Begriff „Theosophie“. Das folgende Zitat aus Wikipedia (Stichwort Theosophie) zeigt, das der Begriff „Theosophie“ alt ist und im Laufe seiner Verwendung verschiedene Bedetungsschwerpunkte entwickelt hat:

„Das Wort Theosophie ist vermutlich durch Vermischung der Begriffe Theologie und Philosophie entstanden. Schon der im späten 2. und frühen 3. Jahrhundert lehrende Kirchenvater Clemens von Alexandria verwendete das Adjektiv theósophos. Bei dem Neuplatoniker Porphyrios († 301/305) ist zum ersten Mal Verwendung des Substantivs theosophía bezeugt.

Einen Sonderfall bildet die sogenannte „Tübinger Theosophie“ (Theosophia Tubingensis), die nach dem Aufbewahrungsort der wichtigsten Handschrift dieses Textes benannt ist. Es handelt sich um eine im späten 5. Jahrhundert entstandene Anthologie von Orakeln oder griechischen Weisheitssprüchen, die häufig durch einen kurzen Kommentar eingeleitet werden. Überliefert ist davon nur ein nach 692 angefertigter Auszug mit dem Titel Orakel der griechischen Götter; der Titel des verlorenen ursprünglichen Textes lautete Theosophia.[2]

In der Renaissance war der Begriff Theosophie in der Bedeutung Offenbarung weit verbreitet. Agostino Steuco zitierte Orakel aus der Tübinger Theosophie.[3]

Friedrich Schiller veröffentlichte 1786 in seinen Philosophischen Briefen die Theosophie des Julius, in der er sich mit dem damaligen Materialismus auseinandersetzte. Im 19. Jahrhundert bezeichnete der katholische Philosoph Antonio Rosmini die Summe seiner Spekulationen als Theosophie.

Im religionswissenschaftlichen Diskurs hat der Begriff Theosophie zwei verschiedene Bedeutungen.[4] In der ursprünglichen Bedeutung bezeichnet Theosophie eine Strömung innerhalb der westlichen Esoterik, die sich bis in das späte 15. Jahrhundert zurückverfolgen lässt. Diese wird konkreter zumeist als abendländisch-christliche Theosophie bezeichnet und zeichnet sich dadurch aus, dass religiöse Erkenntnisse durch individuelle mystische Erfahrung angestrebt werden. In einem weiteren Sinne wurde der Begriff etwa durch Gershom Scholem auf entsprechende Traditionen im Judentum und von Henry Corbin auf islamische Theosophien angewendet.[5] “ (Wikipedia, 15.01.2022, 12:38)

Neben der relativ neu geschaffenen, gesellschaftlich organisierten westlichen Beschäftigung mit hinduistisch-tibetischer Theosophie bestand in Europa bereits seit längerem eine eigene theosophische Tradition. Diese hatte insbesondere im deutschsprachigen Raum im Zusammenhang mit der Reformation eine immer konkretere Ausgestaltung erfahren. Wobei ihre Wurzeln weiter zurückgehen und sich bereits bei Hildegard von Bingen finden lassen.

Inspiration in Meditation

Zur Geschichte der Theosophie in Europa formuliert der Wikipedia Artikel:

„Die konfessionellen Auseinandersetzungen des sechzehnten Jahrhunderts führten zu einer Ausformung der sich seit der Spätantike unterschiedlich auswirkenden jüdischen, muslimischen und christlichen Mystik, als Grundlage der christlichen Theosophie, der das regen Zulauf bescherte. Die neu entwickelte abendländisch-christliche Theosophie bildete eine Alternative zur „trockenen“ Theologie[23] und hat ihre Wurzeln in den ersten beiden Kapiteln des 1. Korintherbriefs („denn der Geist erforscht alle Dinge, auch die Tiefen der Gottheit“).[24] Der Religionswissenschaftler Antoine Faivre benennt drei charakteristische Züge der modernen abendländischen Theosophie:

„1. Eine Tendenz, über die Beziehungen zwischen Gott (bzw. die göttliche Welt), Natur und Mensch spekulative Diskurse zu führen.
2. Eine Vorliebe für das mystische Element in den geoffenbarten Texten (z. B. in der Bibel).
3. Die Überzeugung, dass ein dem Menschen innewohnendes Vermögen (nämlich die schöpferische Einbildungskraft) ihn befähigt, mit höheren Realitätsebenen in Kontakt zu treten.[25]

Von den alexandrinischen Kirchenvätern führt ein breiter Strom christlicher Theosophen wie Hildegard von BingenBöhmeGichtelPordageOetingerJ. M. HahnF. von BaaderSchelling [bis in die Gegenwart].“ (Wikipedia, 15.01.2022, 14:56; [Erg. d. Verf.])

„Theosophie“ ist somit kein eindeutiger Begriff und lässt sich auf die Arbeiten und Anliegen der von Blavatsky begründeten Gesellschaft reduzieren. Das gilt insbesonder für die Theosophie im deutschsprachigen Raum, die bereits in verschiedenen Bewegungen, Gruppen und dann auch Gesellschaften bestand, bevor es zu einer gewissen Vereinigung von Menschen in diesen Traditionen in der Deutschen Sektion der Theosophischen Gesellschaft (Adyar) kam.

Diese Vereinigung sollte sich als nicht nachhaltig erweisen. 1913 kam es zu einer Trennung der durch Rudolf Steiner vertretenen, mehr christlich-abendländisch orientierten theosophischen Bewegung, die sich von da an Anthroposophie nannte.

Als zentralen Vertreter dieser christlichen Theosophie hatte Rudolf Steiner bereits 1907 Christian Rosenkreuz als zentrale Inspirationsquelle seiner Arbeiten benannt. Um näher auszuführen, was damit gemeint ist, hat er 1907 einen Vortragszyklus mit dem Titel „Die Theosophie des Rosenkreuzers“ gehalten. Bereits im Titel wird deutlich, dass es sich nicht um den Versuch handelt, die Theosophie von Christian Rosenkreuz zu rekonstruieren, sondern darum, eine Theosophie im Sinne einer lebendigen, durch Personen geprägte und getragene christlich-esoterischen Tradition zu charakterisieren.

Auch wenn sich Rudolf Steiner für die historische Existenz eines Christian Rosenkreuz ausspricht, handelt es sich bei diesem Rückbezug auf eine historische Tradition mehr um das Hinweisen auf eine archetypische oder prototypische Gestalt. Es geht also weniger darum, die historische Realität dieser Person zu erfassen, als darum, sie als Vorbild oder Inspirationsquelle für sich fruchtbar zu machen.

Wenn wir Theosophie als Kontext der Entstehung der Mysteriendramen Rudolf Steiners beachten, dann sollten wir uns auf die Ausgestaltung fokussieren, die er ab 1907 ins Zentrum seiner Arbeit stellte: die „Theosophie des Rosenkreuzers“.

Denn auch der Untertitel des ersten Mysteriendramas „Die Pforte der Einweihung“ weist explizit auf diesen Zusammenhang hin: „Ein Rosenkreuzermysterium“.